: Kokser und Bohemien
Ungeschickte Fouls von Jürgen Kohler und Marcio Amoroso besiegeln im Uefa-Cup-Finale das Schicksal von Borussia Dortmund beim 2:3 gegen ein biederes Team von Feyenoord Rotterdam
aus Rotterdam ULRICH HESSE-LICHTENBERGER
Der Mann, den alle sprechen wollten, wusste, was sich gehört. Nach dem Ende des Uefa-Cup-Finales zwischen Borussia Dortmund und Feyenoord Rotterdam tauchte Jürgen Kohler von Blitzlicht in Blitzlicht, ohne sein Lächeln oder gar die Fassung zu verlieren, und erklärte geduldig, warum sein letztes Spiel als Profifußballer nur eine knappe halbe Stunde gedauert hatte. „Ich habe einen Moment zu lange überlegt“, sagte er, „und da war es zu spät.“ Da hatte Rotterdams Jon Dahl Tomasson den deutschen Verteidiger überholt, und der Rest war fast unvermeidlich. „Ich wollte im Tackling noch zum Ball, aber es war klar, dass etwas passieren würde“, fuhr Kohler ruhig fort. „Der Elfmeter ging in Ordnung, die rote Karte auch.“
Man hätte es ihm verziehen, wenn er mehr Bitterkeit gezeigt hätte, denn jener Zweikampf im Strafraum nach 31 Minuten entschied das Finale auf dreierlei Weise. Zum einen verwandelte Pierre van Hooijdonk den fälligen Strafstoß gewohnt souverän und sorgte so für einen Rückstand, den Dortmund nicht mehr aufholen sollte. Zum anderen waren die Borussen nun in der Unterzahl und mussten auf einer heiklen Position umstellen, was sich bald rächte. Drittens führte Kohlers Fehler das Thema des Abends ein: Feyenoord spielte im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten, während der BVB die Ausrufezeichen setzte – im Positiven wie im Negativen.
„Wir haben alle drei Gegentore selbst geschossen“, stellte Trainer Matthias Sammer korrekt fest. So senste kaum zehn Minuten nach Kohlers letzter Aktion jemand einen Holländer in Strafraumnähe um. Der Täter war kein anderer als Marcio Amoroso, der passenderweise zum Aufwärmen gekommen war, als die Stadionanlage „Bohemian Like You“ von den Dandy Warhols gespielt hatte. Was kümmerte den Bohemien der Bundesliga, dass es solche Freistöße zu vermeiden galt, weil die beim Gegner von van Hooijdonk getreten werden? Fast fünfzig solcher Bälle hat dieser bereits versenkt, im laufenden Wettbewerb mussten sich schon Richard Golz und Stefan Klos auf diese Weise geschlagen geben, und zwanzig Minuten vor Amorosos Foul war van Hooijdonks erster Versuch mit dem ruhenden Spielgerät an den Pfosten geklatscht. Diesmal plumpste er ins Netz.
Dann, kurz nach der Pause, sprang Lars Ricken der Ball bei der Annahme vom Fuß, und die neu formierte Innenverteidigung des BVB reagierte langsamer als erneut Tomasson, der zum dritten Rotterdamer Tor abschloss. Das waren die Tiefpunkte im Dortmunder Spiel, aber sie erzählen noch nicht einmal die halbe Geschichte dieses Finals. Denn der BVB stellte zwar einerseits den schlechtesten Mann auf dem Feld, nämlich Ricken, andererseits aber auch den eindeutig besten. Das war Jan Koller, der nach Amorosos zwischenzeitlichem Elfmeter-Anschlusstor zum 2:1 (47.) und eben Tomassons 1:3 (50.) den BVB mit einem wundervollen Volleyschuss in der Partie hielt (58.). Fortan ging ein furchtsames Raunen durch die Reihen der Feyenoord-Fans, wann immer Koller einen Ball annahm – also praktisch ständig. Und das ist die andere Geschichte dieses Spiels: dass die Rotterdamer mit einer 2:0 Führung und einem Mann mehr als sicherer Sieger in die Halbzeit gingen und doch bis zum Schlusspfiff zittern mussten.
„Wir haben große Moral bewiesen“, sagte Sammer, „und ich habe Respekt vor der Leistung meiner Mannschaft in der zweiten Hälfte.“ Mit Beginn dieses Spielabschnitts begann die Borussia Klasse zu zeigen und hörte damit auch dann nicht auf, als das Spiel schon lange vorüber war. Jeder Borusse wurde gefragt, ob man eher gegen die Umstände denn gegen Feyenoord verloren habe, aber keiner ließ sich darauf ein. „Wir sind faire und sportliche Verlierer“, fasste Sammer die Parteilinie zusammen, die alle einhielten. „Das ist schlechter Stil, wenn man mit Nachkarten anfängt“, sagte etwa Stefan Reuter. Mit „Umständen“ meinten die Frager aber nicht nur das Geschehen auf dem Platz. Für viele der 14.000 Dortmunder Fans hatte sich die Reise zum Fußballfest als der befürchtete Horrortrip erwiesen. Die von den Veranstaltern großspurig angekündigten Sicherheitsmaßnahmen waren kaum vorhanden – und betrafen ohnehin nur die friedlichen Gäste. Dortmunder Fans wurden auf der Anreise angegriffen, wie bei einer Verlegung nach Alcatraz ins Stadion gepfercht und während des Spiels mit bengalischen Feuern beworfen.
Vielleicht nahm man beim BVB die Niederlage auch deshalb so gefasst auf, weil bei einem Sieg eine Eskalation der ohnehin feindseligen Stimmung gedroht hätte. In Stilfragen immerhin waren die Dortmunder die Gewinner.
Zuschauer: 46.000; Tore: 1:0 van Hooijdonk (33./Foulelfmeter), 2:0 van Hooijdonk (40.), 2:1 Amoroso (47./Foulelfmeter), 3:1 Tomasson (50.), 3:2 Koller (58.); Rote Karte: Kohler (31.)
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